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30.03.2015, Thomas Händel, Julia Klaus

Jobchancen in Informations- und Kommunikationstechnologien?

Trotz der hohen Arbeitslosigkeit in ganz Europa bleiben paradoxerweise viele Stellen im IKT-Sektor unbesetzt. Unternehmen in allen Industriebereichen suchen händeringend talentierte Expert*innen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Darunter fallen nicht nur zwingend die klassischen Informatiker*innen, sondern auch Arbeitnehmer*innen, die die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten haben, moderne Technologien tagtäglich in ihrem Job anzuwenden.

Über die Hälfte der Bürger*innen in Europa nutzen das Internet täglich. Konsum, Dienstleistungen, Öffentlichkeit, Bildung, politisches Leben, Kultur und Soziales werden zunehmend durch digitale Informationsprozesse und Kommunikationsformen beschleunigt und verändert, in immer mehr Jobs gewinnen IKT-Fähigkeiten an Bedeutung.

30 Prozent der Europäer*innen benutzen das Internet allerdings nie. Für jene, die nicht die Kenntnisse und Fähigkeiten haben, aktiv an der „Online-Welt“ teilzunehmen, droht eine Abkopplung von gesellschaftlichen Prozessen. Zugleich ist die Nutzung analoger Dienstleistungen und Kommunikationsformen inzwischen mit höheren Kosten für Verbraucher*innen verbunden.

Kann die Europäische Union hier schnell für Abhilfe sorgen?

Auf den ersten Blick scheint es verlockend, Arbeitslose jetzt und schnell in der Branche der Informations- und Kommunikationstechnologie unterzubringen. Dies kann aber nicht die alleinige Lösung des Problems sein. Der europäische digitale Stellenmarkt wäre zwar möglicherweise kurzfristig schnell gesättigt, aber viele Arbeitslose aus den krisengeschüttelten südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Portugal, Italien und Spanien verfügen nicht zwingend über die nötigen und dem ständigem Wandel unterliegenden Fähigkeiten in diesem Bereich.

Die Europäische Union hat überdies keine Kompetenzen in der Bildungspolitik der Mitgliedsstaaten, kann somit nicht in Lehrpläne eingreifen und Informations- und Kommunikationstechnologien auf den Stundenplan von Schulen und Universitäten setzen. Gegenwärtig kann das Europäische Parlament nur Empfehlungen aussprechen und ermahnen, Jugendliche und Student*innen endlich besser mit IKT-Fähigkeiten auszustatten.

Was also ist zu tun?

Unter dem Motto „lebenslanges Lernen“ könnten im Rahmen des EU-Programms Erasmus+ verstärkt Fortbildungen in der IKT-Branche angeboten und dringend mehr Geld investiert werden. Bislang werden durch Erasmus+ nur 3500 Bildungseinrichtungen und Unternehmen beim Aufbau von Wissensallianzen und Allianzen für branchenspezifische Fertigkeiten zur Förderung von Beschäftigungsfähigkeit, Innovation und Unternehmertum unterstützt. Hier ist das Potential noch lange nicht ausgeschöpft. Die europäischen Programme von der Schulbildung über berufliche und Hochschulbildung bis zur Erwachsenenbildung müssen als wichtige Mittel der Bekämpfung der hohen (Jugend-)Arbeitslosigkeit in Europa verzahnt und ausgebaut werden. Warum zum Beispiel nicht Regionen mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, Anspruch auf Fördermittel aber geringer Ausbildungskapazität zusammenbringen mit Regionen, in denen es an Auszubildenden mangelt und kein Anspruch auf Fördermittel besteht? Die Metropolregionen und vielfältigen Städtepartnerschaften als Plattform für europäisch verbindende Ausbildungsprojekte zu nutzen, sollte verstärkter Überlegungen wert sein.

Darüber hinaus sollten Unternehmen konkret dazu aufgefordert werden, Weiterbildungen – vor allem für junge Menschen – anzubieten, bei denen sie die nötigen Kenntnisse erlangen, die sie brauchen, um den sich ständig wandelnden Anforderungen gerecht werden zu können. So begrüßenswert die bereits bestehende Initiative der Grand Coalition for Digital Jobs[1] ist: Unternehmen, die Stellen im Informations- und Kommunikationstechnologiebereich zu besetzen haben, sollten veranlasst werden, sich aktiv in der Ausbildung ihrer nötigen Arbeitskräfte zu engagieren. Unternehmen müssen darüber hinaus durch EU und Mitgliedstaaten Anreize gegeben werden, ihre gegenwärtigen Arbeitnehmer*innen im IKT-Bereich fortzubilden. Aufgrund der rasanten technologischen Entwicklungen ist jemand, der vor 10 Jahren eingestellt wurde, gegebenenfalls nicht mehr auf dem neuesten Stand. Qualifikationen und Erfahrungen von Menschen sind jedoch keine beliebig austauschbaren Wegwerfartikel. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wären deshalb gut beraten über den Weg von Kollektivvereinbarungen zu Qualifizierung und Weiterbildung in die Zukunft von Unternehmen und ihrer Beschäftigten zu investieren.

Die europäische Agentur EURES[2] muss künftig ein wichtiger Partner bei der europaweiten Vermittlung von Stellen in der Informations- und Kommunikationstechnologiebranche sein. Voraussetzung ist, dass die Agentur endlich als zentrales Instrument anerkannt und EU-weit genutzt wird. Hier arbeiten die Institutionen derzeit schon an Verbesserungen. Ein Großteil der Menschen sucht heute schon nach Jobs und Ausbildungen in Internet-Stellenbörsen. Warum also nicht EURES mit privaten nationalen und europäischen Online-Stellenportalen verbinden und mittelfristig zur zentralen öffentlichen Jobbörse mit entsprechenden Qualitätsstandards entwickeln?

Entscheidend bei der Ausrichtung aller Förderprogramme für mehr informationstechnologisches Basiswissen und moderne Anwenderfähigkeiten ist die Orientierung auf eine methodische Wissensvermittlung. Förderungen, die allein den aktuellsten Bedarf unternehmerischer Entwicklung trainieren, sind schnell veraltet. Förderungen, die jedoch ein strukturelles Basiswissen von der Programmierung über Datenbankdesign bis zum gemeinschaftlichen Arbeiten und Dokumentieren anbieten und komplexere IT-Anwendungen wie Office- und Sales-Lösungen oder Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation vertiefen, sind nachhaltig und das erlangte Wissen kann von den Arbeitnehmer*innen im Idealfall bei Arbeitsplatzwechseln genutzt oder auch selbständig weiterentwickelt werden.

Ein nicht zu vernachlässigender Vorteil der Jobs in der Informations- und Kommunikationstechnologie ist zudem, dass häufig von überall aus gearbeitet werden kann und Arbeitnehmer*Innen nicht zwingend umziehen bzw. auswandern müssen. Dies kann vor allem als Chance für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewertet werden. Feste Einstellungen statt befristeter Verträge oder Verträge auf Honorarbasis, soziale Absicherung und armutsfeste planbare Einkommen sind allerdings absolut notwendig, um junge Menschen zu motivieren, diesen Berufsweg überhaupt in Erwägung zu ziehen. Insgesamt müssen Stellen im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor nachhaltiger und damit attraktiver werden.

Der digitale Stellenmarkt muss also endlich und von allen als Chance verstanden werden. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 über 825.000 Stellen im Informations- und Kommunikationstechnologiesektor unbesetzt bleiben werden. Wenn die Europäische Union keine konkreten Hilfestellungen bietet und entsprechende Forderungen an Unternehmen und Mitgliedsstaaten stellt, verliert Europa am Ende gar den Anschluss.

[1] http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/digital-jobs-0

[2] https://ec.europa.eu/eures/page/index

Dieser Artikel erschien am 30. Maerz 2015 zuerst und in leicht geaenderter Fassung im Parliament Magazine in englischer Sprache.