Menu X
29.10.2015, Thomas Händel

Langzeitarbeitslosigkeit: Es tut weh und Europa nicht gut

Rede Thomas Händels zur mündlichen Anfrage an Rat & Kommission bzgl. der Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt

Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Minister, Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Anfrage des Beschäftigungsausschusses beschäftigt sich mit der letzten Empfehlung des Rates zur Integration Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt – in der Tat die schwierigste Gruppe. Infolge der Wirtschaftskrise hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit 2007 verdoppelt. Sie stellen die Hälfte aller Arbeitslosen: mehr als 12 Millionen Menschen, 50 Prozent der Erwerbslosen in Europa, nicht Registrierte noch gar nicht gezählt. Hier spielen die Mängel der Datenerhebung und manchmal die kreative Datengestaltung eine Rolle.

Die amtlichen Statistiken unterschätzen die Situation der Langzeitarbeitslosigkeit. Über 60 Prozent der Langzeitarbeitslosen sind mindestens zwei Jahre in Folge arbeitslos, und wir haben langfristige Arbeitslosenquoten in den Mitgliedstaaten mit deutlichen Unterschieden. Am höchsten sind die Raten in Ländern, die eine Sparpolitik hinter sich haben, in den Programmländern, die mit Austeritätspolitik überzogen worden sind – das will ich persönlich anführen.

Die Folgen sind weithin bekannt: Langzeitarbeitslosigkeit führt häufig zu Ungleichheit, zu Armut und sozialer Ausgrenzung, und sie betrifft besonders benachteiligte Gruppen. Die Spirale nach unten, die Erosion der Fähigkeiten, Entmutigung und Entfremdung, verstärkte psychische und physische Probleme, soziale Ausgrenzung und Rückzug aus der Gesellschaft sind überall in den Gesellschaften spürbar. Dazu kommt immer häufiger: Arbeitslosigkeit und Armut werden zunehmend in die nächste Generation vererbt. Wir stellen fest, enorme gesellschaftliche und ökonomische Folgen, die Verschwendung von Fähigkeiten, höhere Sozialausgaben, der Verlust des sozialen Zusammenhalts und wachsende Altersarmut haben auch mit der Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit zu tun.

Die Fragen, die sich an den Rat richten, sind relativ klar: Wie gedenkt der Rat, effizient mit den mehrfachen Barrieren für viele Langzeitarbeitslose umzugehen? Wie will der Rat Voraussetzungen schaffen für dauerhafte Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose, vor allem in Regionen mit hoher struktureller Arbeitslosigkeit?

Werden beschäftigungsfördernde steuerliche Maßnahmen empfohlen? Wie wollen Sie Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten besser nutzen, um die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen zu ermöglichen? Wie sollen die Mitgliedstaaten qualitative Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose schaffen und verhindern, dass sie in prekärer Beschäftigung landen?

Die Mitgliedstaaten unterscheiden sich sicher deutlich hinsichtlich ihrer sozialen, wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Bedingungen. Gleichzeitig bilden die Langzeitarbeitslosen eine sehr heterogene Gruppe, das ist klar. Wie beurteilt der Rat dies für eine erfolgreiche Umsetzung in den Mitgliedstaaten? Wie sollen die Identifizierung und der Austausch bewährter Verfahren gewährleistet werden, um diese Situation zu bekämpfen?

Wie gedenkt der Rat, die Situation derer, die länger als 18 Monate arbeitslos sind oder derer, die nicht registriert sind, zu verbessern, wenn man sich nur auf die konzentrieren will, die 12 bis 18 Monate arbeitslos sind? Welche spezifischen Maßnahmen plant der Rat, um alle relevanten Akteure einschließlich NGOs und Arbeitsvermittlungsdiensten, seien es private oder öffentliche, in den Prozess der Integration mit einzubeziehen?

Das sind Fragen, die sich an diese Empfehlung richten. Richtig, die EU-Arbeitsmärkte zeigen einige Anzeichen einer Besserung, und dennoch bleibt die Arbeitslosenquote bei den Langzeitarbeitslosen hoch. Das höchste Wachstum stellen wir fest bei prekärer Beschäftigung. Auch das bedeutet allerdings eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Haushalte, der Steuerzahler und der Sozialkassen.

Weiterhin hohe Langzeitarbeitslosigkeit gefährdet nicht nur die Europa-2020-Kernziele, von denen wir weiter entfernt sind denn je: 75 Prozent der 20- bis 64-Jährigen in Beschäftigung zu erreichen und mindestens 20 Millionen Menschen weniger in Armut und sozialer Ausgrenzung zu haben am Ende des Zeitraums. Es gefährdet auch das Vertrauen der Menschen in ein sozialeres Europa, es führt zu Vertrauensverlust, der uns wehtut, der die Weiterentwicklung dieser Europäischen Union im Geiste der Menschen, im Sinne eines besseren Lebens in Zweifel zieht, und das tut Europa nicht gut.