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17.12.2015, Von Axel Troost MdB

Katrougalos: Am Beispiel Griechenland entscheidet sich die Zukunft Europas

Der griechische Arbeitsminister George Katrougalos sprach vor der Bundestagsfraktion der LINKEN in Berlin

Vor Abgeordneten und Mitarbeitern der Bundestagsfraktion DIE LINKE in Berlin erläuterte der griechische Arbeitsminister Katrougalos die Lage in Griechenland. Am Gespräch nahmen auch zwei Abgeordnete der Grünen und ein Abgeordneter der SPD teil.

Die wirtschaftliche Lage in Griechenaland ist nach wie vor schlecht, die Verhandlungen mit den Gläubigern sind schwierig und auch in Griechenland gibt es starke Beharrungskräfte.

Es wurde klar, dass die Regierung die beschränkten Spielräume nutzen will, es aber angesichts der Widerstände auch Rückschläge geben wird und manche Aufgaben (wie die haushaltsneutrale Aufbau einer Grundsicherung) als unlösbar betrachtet werden. Trotz der widrigen Umstände hat Syriza bei einzelnen Vorhaben eine erkennbare eigene Handschrift hinterlassen. Die Aufbruchsstimmung ist definitiv vorbei, jetzt wird Syriza an den Taten gemessen. An Griechenland entscheide sich, so Katrougalos, aber auch die Zukunft von Europa. Zum Kampf gegen die Austeritätspolitik gehöre auch, eigene Strukturen aufzubauen.

In seinem Eingangsreferat skizzierte Katrougalos zunächst die allgemeine politische Lage. Da eine Wirtschaft ohne Banken nicht funktioniert, musste Syriza im Sommer 2015 "eine Wahl zwischen Pest und Cholera" treffen. Das dritte Memorandum sei nicht ganz so schlimm wie die beiden anderen, aber im Kern ebenfalls ein neoliberales Programm. Jetzt habe die griechische Regierung aber auch die Chance, konkrete Alternativen zu den Szenarien der Gläubiger zu entwickeln. Es gelang, die Privatisierung von Wasser und Post zu vermeiden, die in den Memoranden 1 und 2 enthalten waren, jedoch nicht die von Häfen und Flughäfen. Eine Privatisierung der Strombehörde steht noch zur Debatte (sie muss privatisiert werden, falls keine überzeugende Alternative dazu vorliegt).

Die Partei Syriza unterlag in der Folge des Memorandums einem Aderlass. Dies hatte jedoch nur einen minimalen Einfluss auf das Wahlergebnis. Die Grexit-affine Abspaltung blieb mit weniger als 3 Prozent außerhalb des Parlaments. Syriza koaliert weiter mit ANEL. Dabei gibt es große Unterschiede, etwa bei Migrantenrechten, Bürgerrechten und Identitätsfragen. Aber in ökonomischen Kernfragen sei man sich weiterhin einig. Interessanter Hinweis: Syriza konnte gegen die ANEL und mit Stimmen der Opposition ein neues Gesetz zur Einbürgerung von Migranten beschließen, ohne dass es zu einer Koalitionskrise gekommen wäre.

In Griechenland verdient man traditionell Geld durch besondere Beziehungen zur politischen Macht

In Griechenland verdiene man traditionell Geld durch besondere Beziehung zur politischen Macht. Es gäbe ein Dreieck von Medien, Banken und Parteien. Das oligarchische System wollte keine gesetzliche und rationale Regierung und denunziert Syriza wegen der aufgezwungenen Reformen. Syriza ist aber die einzige Kraft, die den griechischen Staat verändern kann. Um Oligarchenfilz zu unterbinden, bekommen private Sender jetzt keine permanente Sendeerlaubnis mehr. Zudem werden Beschäftigte im öffentlichen Dienst jetzt besser evaluiert. Ein weiteres Programm diente dazu, bei ärmeren Bevölkerungsschichten Grundbedürfnisse wie Essen und Strom zu bedienen.

Die aktuell größte Herausforderung sei, die Banken noch in diesem Jahr zu rekapitalisieren. Sonst müsse man an die Ersparnisse der Bevölkerung gehen, was die gesellschaftliche und ökonomische Stabilität zerrütten würde. Da die meisten reichen Griechen ihr Geld längst außer Landes gebracht haben, hatten die eingeführten Kapitalverkehrskontrollen kaum Effekt. Die ca. 40 Milliarden Euro, die dem Kreislauf zum Teil unter Kopfkissen unterzogen wurden, sollen nun so schnell wie möglich in die Banken und damit in die Wirtschaft zurück.

Die Quadriga wollte die notleidenden Kredite der Banken verkaufen, viele Spekulanten warteten darauf. Die griechische Regierung war dagegen, weil die neuen Gläubiger dann säumige Schuldner aus ihren Häusern hätte vertreiben können. Syriza konnte durchsetzen, dass Menschen unterhalb einer gewissen Einkommensschwelle (etwa 65 Prozent der Fälle) vor Zwangsversteigerungen und Obdachlosigkeit geschützt werden. Die übrigen Hausbesitzer, vor allem jene mit Einkommen über 30.000 Euro, werden wahrscheinlich Deals mit ihren Gläubigerbanken machen können. Das meiste Geld für die Rekapitalisierung der Banken komme von ausländischen Investoren.

Eine neue Entwicklungsbank soll Versuche unterstützen, ein neues Produktionsmodell in Griechenland aufzubauen.

Unter anderem mit neuen Steuer-CDs aus Deutschland versucht man jetzt, an Gelder griechischer Oligarchen zu kommen.

Mit der Lagarde-Liste gab es bisher nur mittelmäßige Ergebnisse, aber verglichen mit der Vorgängerregierung waren die Anstrengungen beeindruckend. Bisher habe man leider erst weniger als 100 Millionen Euro zurückholen können.

Das Problem seien vor allem fehlende Kontrollmechanismen und Angestellte, auch wegen der Kürzungen im öffentlichen Dienst. Seit 2010 habe der griechische Staat etwa ein Drittel der Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst verloren (von 900.000 auf 600.000), was vor allem durch Frühverrentung geschehen sei. Die neue Regierung versuche, qualifizierte Steuerfahnder einzusetzen, doch das alte System arbeitet dagegen.

Das Problem sind nicht zu hohe Löhne, sondern fehlende Investitionen. Die Austerität sorge für sinkende Kaufkraft, weniger Nachfrage, mehr Arbeitslose, weniger Steuern – eine Todesspirale.

Griechenland müsse auf seine Stärken setzten: Man habe aktuell die bestausgebildetste junge Generation seit je. Die geographische Lage biete beste    Voraussetzungen, u.a. für Tourismus, welcher qualitativ aufgewertet werden müsse (z.B. auch ganzjähriger Bergtourismus). Das vernachlässigte Eisenbahnnetz soll jetzt in Angriff genommen werden. In der Landwirtschaft sollen kleine Firmen darin gefördert werden, Produkte weiterzuverarbeiten. Es gäbe zudem einen (bislang noch sehr allgemeinen) Plan für Solar- und Windenergie. Allerdings könne die Regierung nur wenig Zeit für Wirtschaftsentwicklung aufbringen, da die zeitintensiven Verhandlungen mit der Quadriga viele Kapazitäten binden.

Generell sei man bereit für Marktlösungen, solange sie sozial verträglich seien. Das Verhalten der Gläubiger sie jedoch sehr theologisch: Beispielsweise habe der IWF auf eine weiteren Abbau des Schutzes vor Massenentlassung gedrängt, obwohl die bestehenden Gesetze mit Regelungen in anderen europäischen Ländern vergleichbar seien (wie ein Treffen bei der Internationalen Arbeitsorganisation ergeben habe) und die Änderungen auch von Arbeitgeberverbänden nicht gewünscht waren.

Alle Möglichkeiten für kollektive Lohnverhandlungen und Flächentarifverträge seien durch die vorherigen Memoranden nun illegal. Nach einem neuen Gesetz soll die Regierung den Mindestlohn bestimmen, egal was die Tarifparteien wollen (was Syriza kritisch sieht).

In Teilbereichen gelten inzwischen weniger als 5 Prozent der alten Verträge. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei insgesamt schlecht. Es sei kein Einzelfall, acht Stunden zu arbeiten, aber nur für vier Stunden Lohn zu bekommen. Die neue Regierung wolle die Rechtseinhaltung jetzt besser kontrollieren, aber wie beim Thema Steuerflucht gäbe es zu wenig Personal. Deshalb entwickle man jetzt neue Methoden zur Überwachung der Arbeitgeber.

Die Arbeitsmarktreformen in Griechenland werden eine Signalwirkung für ganz Europa haben

Das Memorandum nennt bei Arbeitsmarktreformen keine konkreten Verpflichtungen – ein Verhandlungserfolg der Regierung. Griechenland muss sich laut Memorandum an den besten internationalen Praktiken orientieren. Man wolle das Europäische Parlament dabei einbeziehen und sehe die Internationale Arbeitsorganisation als letzte beurteilende Instanz. Thomas Händel (DIE LINKE), Vorsitzender des Beschäftigungs- und Sozialausschusses EMPL im Europäischen Parlament, richtete im Oktober eine Beobachtungsgruppe (Monotorig Group) ein. Die Arbeitsmarktreformen in Griechenland werden wegen ihrer Signalwirkung für ganz Europa bedeutsam sein.

Ein neues soziales Sicherungssystem soll nicht nur Altersarmut verhindern, sondern auch Reichtum umverteilen. Laut Memorandum muss die griechische Regierung die Rentenausgaben um 1 Prozent des BIP reduzieren. Das habe man zu akzeptieren, man will die Gläubiger und Partner aber überzeugen, die Reform nicht nur durch Rentenkürzungen zu erreichen. Die Quadriga verfolgt aber über das Memorandum hinaus eine eigene Agenda. Die Reform steht im Januar an, die griechische Regierung kann sich im Parlament nur noch auf eine sehr kleine Mehrheit stützen. Die Reform würde jedoch nicht nur den Weg für eine 1 Milliarde Euro freimachen, sondern nach der dann mög-lichen Programmevaluierung könne dann auch die Diskussion über Schuldenerleichterungen beginnen.

Katrougalos schloss mit einer Einschätzung der längerfristigen Perspektive: Die linke griechische Regierung habe eine zweite Chance bekommen. Jedoch seien viele junge Menschen nicht mehr wählen gegangen. Der Enthusiasmus der ersten sieben Monate sei vorbei. Jetzt werde man am Erfolg gemessen.

Wie sollen Finanzminister Arbeitsverhältnisse evaluieren?
Es braucht ein Gegengewicht zu den EU-Institutionen

Der linke Flügel der Sozialdemokratie in Europa überdenke seine Position. Es wäre gut, wenn die europäischen Arbeitsminister zukünftig ein Gegengewicht zur Eurogruppe bilden, wie ein Vorschlag aus Luxemburg besagt. Denn wie sollen Finanzminister Arbeitsverhältnisse evaluieren? Gute Wahlergebnisse für linke Kräfte in Portugal, Spanien und Irland und linke Erfolge im Alltagsgeschehen führen zu kleinen Veränderungen auf europäischer Ebene. Man könne kein soziales Griechenland in einem neoliberalen Europa haben.

Deutschland ist Vorreiter einer neoliberalen Politik in Europa. Das ist ein Problem der Deutschen. Griechenland kann die deutsche Politik nicht ändern

Auf die Frage, ob nicht ein neoliberales Deutschland, das in Europa die Fäden ziehe, das eigentliche Problem sei, entgegnete Katrougalos Natürlich sei Deutschland Vorreiter der neoliberalen Politik in Europa. Von griechischer Seite habe man jedoch bewusst vermieden, Deutschland als Haupthindernis darzustellen, um nicht nationalistische Kräfte zu mobilisieren. Die Griechen könnten die deutsche Politik nicht verändern, dass sei das Problem der Deutschen.

Weiterhin wurde gefragt, wie die griechische Regierung die Wirtschaft wiederaufbauen und die Mittel von EU-Strukturfonds und des Juncker-Plans nutzen wolle. Dazu bemerkte K., die ehemalige Regierung habe nur auf kurze Sicht Vorzugskonditionen für die EU-Fonds sichern können. Man verhandle nun neu über die Ausrichtung der Fonds und grundsätzliche Regelveränderungen, z.B. bei der Kofinanzierung. Jedoch fehle der neuen Regierung Wissen und Regierungserfahrung. Der Juncker-Plan sei ganz anders als andere Strukturfonds, eher ein Druckmittel für private Investitionen. Man müsse erst privates Geld mobilisieren, und das dann der Kommission vorweisen.

Angesprochen wurde auch die Frage des Klassenkampfs nach innen – etwa durch entschlossenere Steuerreformen als bisher. Laut K. sind Steuern und Renten megawichtige Themen. Bisher haben man sein Einkommen verstecken und trotzdem eine hohe Rente bekommen können. Das wolle man nun ändern. Frührenten habe man eingeschränkt. Die Grundsicherung hingegen sei eine Falle. Griechenland sei das einzige Land in Europa, das keine habe. Die Regierung wurde aber dazu verpflichtet, sie haushaltsneutral einzurichten. Das sei eine unmögliche Aufgabe, an der man die Regierung womöglich scheitern sehen wolle.

Mit Kürzungen bringt man auch die Gewerkschaften gegen sich auf. Weil sich die Gewerkschaften durch Zuweisungen vom Staat finanzieren

Thematisiert wurde auch der Zustand der griechischen Gewerkschaften. Laut K. gibt es nicht nur mit Pasok-kontrollierten Gewerkschaften ein Problem. Die griechischen Gewerkschaften bekommen Zuweisungen zum Staat, sollten sich aber über Mitgliedsbeiträge finanzieren. Das Dilemma: Wenn man nun die staatlichen Gelder kürze, würde man die Gewerkschaften gegen sich aufbringen. Wenn nicht, dann blieben die Gewerkschaften staatlich kontrolliert. Die neue Regierung wolle das System von unten verändern, aber die Kräfte in der Gewerkschaft seien sehr, sehr schwach. Griechenland habe insgesamt sehr schwache Gewerkschaften, vor allem in den Fabriken, ganz anders als in Deutschland. Die meisten Funktionäre sind zuletzt wieder aus der Partei ausgeschieden. Hinsichtlich des jüngsten Generalstreiks gegen die Rentenreform wies K. darauf hin, dass diese Gegenbewegung auch nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung habe.

Auf die Frage, inwieweit die Schuldentragfähigkeit ein Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung sei, meinte K.: Am wichtigsten sei es, die Wirtschaft anzukurbeln. Nach der ersten Evaluierung gäbe es Hoffnung auf Schuldenerleichterung.

Auf die Frage, inwiefern europäische Werte in Griechenland noch verfangen, meinte K: Die Griechen seien nach wie vor das wohl am meisten nach Europa orientierte Volk, auch wenn es inzwischen klare Ressentiments gegen einige Institutionen der EU gäbe.

Auf die Riesenverluste des griechischen Staats bei der jüngsten Bankenrekapitalisierung angesprochen, meinte Katrougalos.: Der Ablauf sei wirklich ein Skandal. Die Institutionen wollten die Verstaatlichung der Banken unbedingt vermeiden, letztlich also Verluste verstaatlichen, aber Banken privat halten. Bei vorherigen Rekapitalisierungen habe man nur Aktien ohne Stimmrecht bekommen, was ebenfalls ein Skandal war. Mit den Details und wieso der Kapital-Bedarf plötzlich so stark geschrumpft sei, kenne er sich aber nicht aus.

Dank an Thomas Händel für die Einrichtung der Monitoring Group

Man versuche jetzt, auch die nicht systemrelevanten Banken zu retten, möglichst ohne Geld dafür aufzuwenden. Ein paralleles Netz sei entscheidend, denn die systemischen Banken blieben ja privat und nicht im Besitz der griechischen Öffentlichkeit.

Katrougalos hielt das Gespräch, weitere Koordination und Wissenstransfer für sinnvoll. Besonders lobte er noch einmal die neue Beobachtergruppe des europäischen Parlaments, die nur durch den Kontakt mit Thomas Händel möglich geworden war.