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28.01.2016

"Wozu noch eine Regierung?"

Griechenlands Regierung entwirft eine Rentenreform und hat bereits wieder die EU-Institutionen im Nacken / Sitzung der Monitoring Group mit Arbeitsminister Katrougalos in Brüssel

Von "humanitärer Katastrophe" spricht mittlerweile Griechenlands Arbeitsminister Georges Katrougalos, wenn er die Krise in Griechenland meint. Beraten von der Monitoring Group des Beschäftigungs- und Sozialausschusses EMPL im Europäischen Parlament, treibt die griechische Regierung unter anderem die Rentenreform voran.

Indessen sagte die EU-Kommission ihre Teilnahme an der Sitzung an der Monitoring Group ungewohnt harsch ab. Verhandlungsführer Declan Costello erklärte, die Kommission werde in dieser Frage mit dem Wirtschaftsausschuss ECON kooperieren, nicht jedoch mit dem EMPL.

Die Absage der Kommission sorgte für Verstimmung und Irritation. Thomas Händel, EMPL-Vorsitzender und Leiter der Monitoring Group, kündigte eine Intervention an: "Ich halte das für ziemlich daneben." Auch Minister Katrougalos wunderte sich über die Haltung der Kommission. Er wolle sich nicht in die Angelegenheiten der Kommission einmischen. Aber: "Es ist absurd, wenn ausschließlich Finanzexperten die Rentenreform bewerten wollen." Kein anderer Ausschuss als der für Beschäftigung und Soziales sei für die Beurteilung von sozialen Fragen besser geeignet. Das Europäische Parlament müsse seine Kontrollfunktion wahrnehmen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Zweifel an einer aktiven Unterstützung durch die EU-Kommission zur Verbesserung der Lage in Griechenland aufkommen. Im Herbst hatte das Parlament unbürokratisch Hindernisse aus dem Weg geräumt, um Griechenland den schnelleren und leichteren Zugang zu EU-Fördermitteln zu ermöglichen; das Land sah sich zur Ko-Finanzierung nicht in der Lage und hätte auf die Fördermittel deshalb verzichten müssen. Unklar ist, warum die EU-Kommission den erfolgten Beschluss über die Freigabe der Mittel den Griechen zunächst nicht mitteilte.

Indessen drohen Einwände der von den EU-Institutionen eingesetzten unabhängigen Sachverständigen die Reformen weiter zu verzögern. Es sei "nicht hilfreich", so Minister Katrougalos, wenn das Konzept der von der Regierung vorgelegten Sockelrente zerpflückt werde. Nach dem Willen der Experten sollen die monatlich 384 Euro Rente nicht generell alle Griechen erhalten; ausgenommen soll jener Teil der Bevölkerung sein, der darauf nicht angewiesen ist. Katrougalos: "Unsere Gesprächspartner haben nicht die Kompetenz, unser System zu ändern." Die Durchschnittsrenten seien bereits um 40 Prozent gekürzt worden, heute betrage die durchschnittliche Bruttorente bereits weniger als 800 Euro. "Weitere Einschnitte sind nicht tolerabel."

Die liberale Abgeordnete Marian Harkin, als Irin gesättigt mit Krisen-Erfahrungen und Sparverdikten der einstigen Troika, pflichtete dem Minister bei. Selbstverständlich müssten einer Regierung bei Reformvorhaben Spielräume eingeräumt werden. "Wozu braucht man sonst noch eine Regierung?"

Ein Kommissionssprecher verteidigte die Rolle der eingesetzten unabhängigen Sachverständigen; es sei die beste Art zu Ergebnissen zu kommen. Thomas Händel widersprach: Die Sachverständigen hätten die Massenentlassungen kritiklos hingenommen. "Die besten Sachverständigen findet man im Europäischen Parlament." Dort säßen Leute mit praktischer Erfahrung. Die praktische Erfahrung sei gerade bei dem Thema individueller und kollektiver Arbeitsrechte von besonderer Bedeutung. "Sozialen Dialog kann man nicht mit ideologischen und wirtschaftstheoretischen Positionen führen."

In der Sache sind die Akteure seit dem Treffen in Athen Ende 2015 vorangekommen. Griechenlands Gewerkschaften und Arbeitgeber wollen schnellstmöglich zur früheren Praxis der Tarifautonomie zurückkehren. 2011 wurde auf Druck der Troika der Abschluss von Flächentarifverträgen verboten. Lohnabschlüsse wurden fortan individuell, also Betrieb für Betrieb, ausgehandelt. Von 1100 Tarifverträgen, die zwischen 2011 und 2014 ausgehandelt wurden,  sahen 98,5 Prozent Lohnstopps und Lohnsenkungen vor. Thomas Händel: "Seither gibt es in Griechenland keinen Wettbewerb mehr um das beste Produkt, sondern einen desaströser Wettbewerb um den niedrigsten Lohn. Denn es findet sich immer einer, der es noch billiger macht. Das schadet aber nicht nur den Beschäftigten, sondern genauso der Volkswirtschaft."

Außerdem haben Katrougalos und Händel einen Vorstoß im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland unternommen. Zwar stellt die EU im Europäischen Sozialfonds 70 Millionen Euro für eine Ausbildungs-Offensive zur Verfügung. Aber, sagt Thomas Händel, angesichts von 240.000 "platt gemachter" Betriebe landesweit, dürfe es nur schwer möglich sein, sämtliche jungen Leute in Griechenland in die Lehre zu schicken. Ein transnationaler Ausbildungsverbund könnte helfen, Jugendliche ohne Ausbildung für die Dauer der Lehrzeit dorthin zu bringen, wo Auszubildende fehlen, auch und gerade nach Deutschland.

Die Sorge, die jungen Leute könnten Griechenland verloren gehen und in Deutschland bleiben wollen, teilt Georges Katrougalos nicht: "Die Griechen hängen viel zu sehr an Griechenland." Gut ausgebildete Fachkräfte seien eine wichtige Voraussetzung für eine baldige wirtschaftliche Erholung seines Landes.