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11.05.2017, Thomas Händel

Kein Schwung für ein soziales Europa

Thomas HÄNDEL

Vor sechzig Jahren wurde der Grundstein für die heutige EU gelegt. Mit hohen sozialen Ansprüchen. Ziel der ‚Römischen Verträge‘ war ‚...die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen...‘ Man verpflichtete sich auf die ‚...Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte und (...) ihre Angleichung...‘ und auf ‚...den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit...‘ -  vor 60 Jahren!

Und die Realität heute: ArbeitnehmerInnen mit unterschiedlichen Rechten, Lohndumping mit System, selbst moderne Sklaverei gedeiht wieder. Gleiches Entgelt – Fehlanzeige. Ein Viertel lebt an oder unter der OECD-Armutsgrenze. Über 17 Prozent der Jungen sind arbeitslos. Immer mehr schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsplätze. Während sozialer Abstieg und Armut sind Massenerfahrung geworden sind, klaffen die Einkommens- und Besitzverhältnisse immer weiter auseinander. Das läßt immer mehr Menschen an der EU zweifeln. Auch das ist ein Aspekt des Brexit-Referendums.

Das Gründungspostulat - nie wieder Krieg - reicht alleine nicht mehr. Der neue Tenor muss lauten: Soziale Gerechtigkeit - gegen Arbeitslosigkeit und Armut. Neoliberale Sparpolitik zu Lasten der Menschen und ein ungebremstes Konkurrenz-Europa haben keine Zukunft. Die Alternative liegt aber nicht in der Rückkehr zum nationalen. Wer behauptet nachhaltiger Umweltschutz und Energieversorgung, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Flucht und Migration, die strikten Kontrolle der Finanzmärkte usw. könnten nationalstaatlich besser geregelt werden, ist der Scharlatanerie verdächtig nahe. 

Auch die "linken" Brexit-Jubler zielen in die falsche Richtung. Wer die Zerstörung der EU erhoft und danach die Neugründung fordert, muss auch sagen mit wem er das denn machen will. Manche halten die EU gar für unveränderbar. Europa ist aber kein dunkles Imperium aus den Weiten des Weltalls. Europa ist menschengemacht. Derzeit regieren die Interessen der Wirtschaft. Das lässt sich nur mit politischen Mehrheiten verändern. Dazu braucht es Bündnisse mit allen, die eine demokratische und soziale Neubegründung Europas wollen.

Dazu braucht es aber vor allem eine gemeinsame, die Menschen überzeugende, europäische Idee und Strategie der Linken für die neue EU. Beides fehlt aber (noch)! Die Kernpunkte liegen auf der Hand:

  • Investieren statt kaputtsparen und die ungleiche Entwicklung in den Mitgliedstaaten ausgleichen;
  • Gute Arbeit schaffen, von der die Menschen eigenständig und frei von Armut leben können;
  • Ausbau und Angleichung der sozialen Sicherheit mit Mindeststandards, die vor Armut schützen sowie eine umfassende öffentliche Daseinsvorsorge;
  • Die strikte politische Kontrolle der Finanzmärkte.
  • Eine koordinierte Steuerpolitik, ein gemeinsames Schulden-Management und die Wiederherstellung des Vorrangs der Politik über die Wirtschaft;
  • Abrüstung, Umstellung der Rüstungswirtschaft auf zivile Produktion und eine wirkungsvolle und nachhaltige Friedens- und Entwicklungspolitik;
  • Eine weitere Demokratisierung: die Stärkung des Europaparlaments, der Schaffung einer echten zweiten Kammer, direkt gewählt über die Regionen Europas und die Wahl einer demokratisch kontrollierten, europäischen Regierung.

Neu geregelt werden muss, welche Kompetenzen auf welcher Ebene am besten angesiedelt sind. Es muss um ein Europa der solidarischen Regionen gehen, das sukzessive die geschaffene Konkurrenz der EU-Mitgliedsstaaten ersetzt. Letztlich wird das ohne Änderung der Verträge nicht gehen.

Zumindest hinsichtlich des Sozialen schien es so, als habe die EU-Kommission verstanden. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" und eine neue "Säule sozialer Rechte" sollten konstituiert werden. Ersteres trifft auf den härtesten Widerstand der Osteuropäer. Das Zweite mündet trotz monatelanger Konsultationen in einem unverbindlichen "Sozialknigge", an den sich jeder halten kann aber nicht muss. Das wird nicht reichen um die Menschen zu überzeugen und die großen Versprechen eines besseren, sozialeren Europa einzulösen.