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22.01.2010

Auf alten Pfaden

in: "Neues Deutschland - Brüsseler Spitzen"

Eine Sozialagenda der EU zählte bisher zu den glühenden Verheißungen des alten und neuen Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso. Dessen Ankündigung, »die soziale Priorität« sei »viel wichtiger als vor fünf Jahren«, bleibt auch nach der Anhörung seiner neuen Kommissionsriege vage. Mehr als Unverbindlichkeiten waren den künftigen Kommissarinnen und Komissaren kaum zu entlocken. Angesichts der EU-Bilanz bei Beschäftigung und Sozialem zu wenig, um Optimismus aufkeimen zu lassen.
Die immer wieder gepriesene »Flexicurity«-Strategie, die eine mögliche Balance aus Flexibilität und sozialer Sicherheit vorgaukeln soll, wird längst von ihren Protagonisten selbst bezweifelt. Angesichts der Erfahrungen kein Wunder: 60 Prozent des europäischen Beschäftigungszuwachses sind prekäre Jobs. Diese schmelzen in der Krise weg wie der Schnee im Frühjahr. Die Arbeitslosenrate in der EU stürmte schon jetzt die 10-Prozent-Marke – weitere Krisenauswirkungen noch gar nicht gerechnet. Viel Flexi-, wenig Security also. Doch auch der neue Beschäftigungskommissar László Andor stellt diese Strategie nicht ernsthaft in Frage.
Falsch konditionierte europäische Fördertöpfe wie der Globalisierungsfonds befreien Unternehmen von jedweder sozialen Verantwortung. Der europäische Steuerzahler blecht für die sozialen Folgekosten von Werksschließungen und Arbeitsplatzvernichtung und belohnt Unternehmen fürstlich für ihre Jagd nach höheren Renditen. Veränderung auch hier: nicht in Sicht.
Auch mit der neuen Kommission ist weiterer »Fortschritt« auf alten Pfaden zu befürchten. Zur Entschuldung der öffentlichen Haushalte ist »die Anhebung des effektiven Rentenalters [..] in den verschiedenen Mitgliedstaaten im Gespräch und wäre auch darüber hinaus überlegenswert. Zusätzlich zu den mittel- bis langfristigen Einsparungen, die sich für die öffentlichen Haushalte ergeben, trägt (dies) auch dazu bei, die Erwerbsbevölkerung zu vergrößern«, schreibt die EU-Kommission in einem Bericht an das Parlament.
Nun hat die EU in Fragen Soziale Sicherung keine eigene Zuständigkeit. Dennoch werden sich die europäischen Regierungen – jenseits der EU-Institutionen – über die weitere Demontage der sozialen Sicherungssysteme verständigen. Laut Prognosen wird die Arbeitslosigkeit in Europa weiter steigen. Finanzmärkte werden saniert, Arbeitsmärkte saufen ab. Die Haushalte der Mitgliedstaaten werden zu Lasten »der da unten« saniert. Im sozialdemokratisch geführten Griechenland, aber nicht nur dort, ist schon heute zu besichtigen, wie die Interessen der Finanzmärkte und der reichen EU-Staaten gegen die eigene Bevölkerung durchgesetzt werden. Um Maastricht-Kriterien und Schuldenbremse in Deutschland bis 2016 einzuhalten, würde selbst die vollständige Auflösung der Bundeswehr und eine Rentenkürzung von 20 Prozent nicht reichen.
Schlechte Zeiten also für eine »Soziale Fortschrittsklausel«? Das hängt maßgeblich von der Durchsetzungskraft und Konsequenz der politischen Linken in Europa ab. Europa braucht heute mehr denn je eine Verfasstheit, die auf sozialen Fortschritt verpflichtet. Soziale Grundrechte müssen Vorrang vor wirtschaftlichen Grundfreiheiten erhalten. Das allein wird aber nicht reichen. Strikte Regulierung der Finanzmärkte, mehr Mitbestimmung und vieles mehr gehören zwingend dazu.
Es bleibt dabei: Gegen das Motto: »Wenn's für ›die da oben‹ nicht mehr reicht, muss man es eben ›denen da unten‹ nehmen«, hilft nur offensive linke Politik in und außerhalb der Parlamente – hier und in Europa!