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07.11.2013, Thomas Händel, Jürgen Klute, Frank Puskarev

Europäische Mindestlöhne / Europäische Mindesteinkommen

Eine Kurzinformation. (2. aktualisierte Fassung 2013)

Der Mindestlohn ist eine der Kernforderungen der LINKEN. Unumstritten ist die Forderung nach einem flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn. Fortentwickelt wurde die Frage der Höhe dieses gesetzlichen Mindestlohnes. Unklar scheinen jedoch die geeigneten Berechnungsgrundlagen. Dies führt mitunter zu Irrtümern, sprachlichen Unklarheiten wenn nicht gar zu haarsträubenden Berechnungen.

Europäische Mindestlöhne

Beginnend mit 7,50 Euro, noch 2005 in unserem Bundestagswahlprogramm, über 8 Euro (Bundestagsfraktion - BTF - 2005-2009), 8,84 Euro (BTF 2005-2009), 10 Euro (BTF 2009 bis 2013) wurde die Forderung schliesslich „nach französischen Modell“ auf 10 Euro steigend bis 12 Euro (Bundestagswahlprogramm 2009 & 2013) weiterentwickelt.

In Europa verfügen 25 von 27 Mitgliedsstaaten über eine Mindestlohnregelung entweder per Gesetz oder durch allgemeinverbindliche Tarifverträge. Nur zwei Mitgliedstaaten haben keinen flächendeckenden Mindestlohn: Malta und... Deutschland!

Entsprechend dem Europawahlprogramm der LINKEN fordern wir im EP einen Mindestlohn in Höhe von mindestens 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns. Dies wurde sogar vom Europäischen Parlament in Resolutionen und Aufforderungen an Mitgliedsstaaten und Europäische Kommission gefordert und beschlossen.

Durchschnittslohn? Durchschnittseinkommen??

Der Begriff „Durchschnittslohn“ stellt dabei eine allgemein verständliche Formulierung dar.

In offiziellen Statistiken findet man diesen Begriff aber nicht. Die in Deutschland heran zuziehende Bezugsgröße wäre das „...durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten...“. Also das Durchschnittseinkommen dieser gesetzlich festgelegten Gruppe von Einkommensbeziehern für die deutsche Sozialversicherung.

Dieser Wert wird durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates jährlich unter Berücksichtigung vom statistischen Bundesamt erhobener Daten festgestellt. Dabei stützt sie sich auf die Daten, die das statistische Bundesamt Destatis erhebt. Für das Jahr 2013 wurde das Durchschnittsentgelt der deutschen Sozialversicherten vorläufig auf 34.071 Euro festgelegt.

Unsere Forderung hätte also für Deutschland im Jahr 2013 einen monatliches Mindestentgelt von ca. 1703.- Euro brutto zur Folge. Legt man eine tarifliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 37,6 h (Institut für Arbeit und Qualifikation, 2010 für 2008) zugrunde, entspräche das einem Stundenlohn von 10,42 Euro brutto. Das bildet ziemlich exakt die aktuelle Forderung der Partei nach einem Einstiegs-Mindestlohn von 10.- Euro ab und macht die Forderung, innerhalb der Legislaturperiode auf einen Mindestlohn von 12.- zu erhöhen, absolut sinnvoll.

Das Statistische Bundesamt liefert für Deutschland Zahlen zum „durchschnittlichen Brutto-Verdienst in Vollzeit” von 3391.- Euro monatlich in 2012. Diese Rechengrösse unterscheidet sich vom obigen Durchschnittsentgelt insofern, als dass hier nur Vollzeitbeschäftigte in Betrieben mit über 10 Beschäftigten einbezogen werden. Löhne in kleineren Betrieben, in Teilzeit und Minilöhne sind hier nicht erfasst, was den Durchschnitt - und den, sich daraus zu berechnenden, Mindestlohn - deutlich anhebt. Diese würde dann nach der oben angewandten Formel einen Mindestlohn von 11,84 Euro brutto bedeuten.

Dieser Wert wird vom Statistischen Bundesamt (Destatis) allerdings in seiner Bedeutung relativiert: "Alle auf dieser Seite und in den oben genannten Fachserien veröffentlichten Verdienstangaben sind arithmetische Mittelwerte. Wichtig für die Interpretation dieser Werte ist eine Vorstellung über die Verteilung der Beschäftigten um diesen Mittelwert: Aus der Verdienststrukturerhebung 2010 ist bekannt, dass knapp 2 von 3 Vollzeitbeschäftigten (62 %) weniger verdienen als den gesamtwirtschaftlichen Durchschnittswert; nur ein gutes Drittel (38 %) hat höhere Bruttoverdienste. Dieses Drittel hat so hohe Verdienste, dass der Durchschnittswert für alle Beschäftigten (noch weiter; Anm. d. Verf.) "nach oben" gezogen wird."

Die Forderung nach “einem Mindestlohn in Höhe von mindestens 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns” ist allerdings auch eine europäische Forderung. Also braucht man auch eine europäische Vergleichsmöglichkeit, also eine gemeinsame statistische Grösse und Berechnungsmethode.

Dies vor allem deshalb, damit sich durch unterschiedliche Berechnungsmethoden und Bezugsgrössen keine Ungerechtigkeiten einschleichen oder gar durch einzelne Mitgliedsstaaten versucht wird, über diese Stellschrauben vergleichbar geringere Mindestlöhne zu etablieren. Darum hilft die deutsche Statistik in diesem Fall nicht weiter. Man muss die europäische Statistikbehörde EUROSTAT und ihre Daten zu Rate ziehen.

Auch bei EUROSTAT findet sich kein “Durchschnittslohn”. Die entsprechende Bemessungsgröße findet sich dort unter “durchschnittliche Jahresverdienste" in Europa. Die letzte weitgehend vollständige Übersicht ist die EUROSTAT-Verdienststrukturerhebung von 2010.

Aus dieser Statistik ergäbe sich anhand des obigen Berechnungsmodells ein Mindestlohn entsprechend unserer Programmforderung von 11,84 €. Auch in dieser Statistik fehlen wiederum die Verdienste im Betrieben unter 10 Beschäftigten, die den Durchschnitt nach unten senken würden.

Mindesteinkommen

Mit dem von uns ebenfalls geforderten Europäischen Mindest-Einkommen darf die obige Mindestlohn-Forderung nicht verwechselt werden. Dieses hat weder in der Systematik noch in unserem Programm etwas mit dem Mindest-Lohn und seiner Berechnung zu tun.

Mindesteinkommen sind eine Kernforderung der LINKEN. Im Europawahlprogramm 2009 heißt es dazu: “DIE LINKE fordert einen europäischen Pakt zur Beseitigung der Armut. Darin werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, durch entsprechende Maßnahmen zu sichern, dass in fünf Jahren kein Mensch in Europa mehr unterhalb der Armutsgrenze von 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittseinkommens leben muss.”

Dies entspricht der in der EU seit 2001 verwendeten Definition der relativen Armutsgrenze, dem gewichteten Haushaltseinkommen oder, für Experten, dem Median des Nettoäquivalenzeinkommens (NÄE): Personen in einem Haushalt mit einem verfügbaren Einkommen von 60 % oder weniger dieses Betrages gelten als in Relation zur Bevölkerung als arm oder armutsgefährdet.

Das Äquivalenzeinkommen ist das Einkommen, das jedem Mitglied eines Haushalts, wenn es erwachsen wäre und alleine leben würde, den gleichen (äquivalenten) Lebensstandard ermöglichen würde, wie es ihn innerhalb der Haushaltsgemeinschaft hat. Dazu wird das Einkommen des gesamten Haushalts addiert und anschließend aufgrund einer Aquivalenzskala gewichtet. Die Gewichtung richtet sich nach Anzahl und Alter der Personen der Haushaltsgemeinschaft (OECD zit. nach Wikipedia 2013).

Im Jahr 2004 waren in Deutschland 13 % der Bevölkerung mit einem NÄE von weniger als 856 € monatlich bzw. 10.274 € jährlich arm oder von armutsgefährdet. „Eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren gilt ab einem Netto-Jahreseinkommen von 21 575 Euro als von Armut bedroht, ein Alleinerziehender mit zwei Kindern ab einem Netto-Jahreseinkommen von 16 438 Euro.“ (DIW Wochenbericht 2008)

2005 waren bei den über 65-jährigen Männern im Westen 14 %, im Osten 6 % armutsgefährdet. Bei den 16- bis 24-Jährigen sowie bei den 50- bis 64-Jährigen sind in den neuen Bundesländern rund 20 %, in den alten Bundesländern 10 %, armutsgefährdet.

Das Statistische Bundesamt hat für 2010 Daten zur Armut auf Basis des EU-SILC, einer europaweiten standardisierten Erhebung ermittelt. Eine neuere Datenerhebung läuft derzeit. Nach den Daten von 2010 sind 15,8% der Menschen in Deutschland armutsgefährdet: ein Alleinstehender ab 952 Euro monatlich, eine vierköpfige Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern ab rund 1.999 Euro monatliches Nettoeinkommen.

DIE LINKE hat die Forderung nach einem Mindesteinkommen an verschiedenen Stellen in Berichten und Resolutionen im Europäischen Parlament eingebracht. Mit Berichten von Gabi Zimmer und anderen zu Armut und Mindesteinkommen in Europa hat sich das Europäische Parlament diese Position mit großen Mehrheiten auch als politische Forderung beschlossen.

Diese Forderung wurde mit den Integrierten Leitlinien für Beschäftigung auf Drängen von LINKEN, Sozialdemokraten und Grünen in die Debatte zur EU-2020-Strategie eingebracht.

Auch der von den Sozialpartnern gemeinsam betriebene Thinktank Eurofound hat sich kürzlich mit dem Thema europäische Mindestlöhne differenziert auseinander gesetzt und eine Studie dazu veröffentlicht. Diese kann man hier nachlesen und herunterladen:

http://www.eurofound.europa.eu/press/presspack/minimumwagesdraft.htm