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11.02.2010, Thomas Händel

EU-Mikrofinanzierungsinstrument: Ein sozialpolitisches Trauerspiel

„Die Mehrheit des Europäischen Parlaments ist heute vor Rat und Kommission zu Kreuze gekrochen. Die Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) lehnt den von einer Großen Koalition im EP (Konservative, Liberale und Sozialdemokraten) und des Rates ausgehandelten Kompromiss zur Finanzierung des neuen EU-Mikrofinanzierungsinstruments ab“, so Thomas Händel MdEP (DIE LINKE, Schattenberichterstatter der EP-Linksfraktion).

Ursprünglich hatte sich eine breite Mehrheit des Beschäftigungsausschuss des EP strikt dagegen ausgesprochen, das EU-Mikrofinanzierungsinstrument (MFI) durch Mittelkürzungen beim Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität der EU (PROGRESS) gegen zu finanzieren. Der vorliegende Bericht des Beschäftigungsausschusses (Berichterstatterin Kinga Göncz, Sozialdemokratin aus Ungarn) lehnte den entsprechenden Vorschlag der Europäischen Kommission in Gänze ab.
Der Kompromiss zwischen dem Rat und der „Großen Koalition“ im EP sieht hingegen vor, dass 60 % der Mittel für das MFI durch Kürzungen bei PROGRESS und 40 % durch nicht genutzte Reserven des EU-Haushalts aufgebracht werden sollen.
„Die Verhandlungsstrategie der EP-Mehrheit ist auf der ganzen Linie gescheitert. Um mehr Mittel für das Mikrofinanzierungsinstrument vom Rat loszueisen – gefordert waren 150 Millionen Euro für 4 Jahre - hat sie bereits im Dezember 2009 bei qualitativen Forderungen erheblich nachgegeben. Die Forderungen des EP-Beschäftigungsausschuss – Finanzierung von Ausbildungs- und Trainingsprogramme zur Entwicklung eines Geschäftsplans, zum Erwerb oder zur Verbesserung von den im angestrebten Tätigkeitsfeld erforderlichen Fachkenntnissen, Buchhaltung und Steuerwesen usw. vor der Förderung, sowie begleitendes Mentoring und Coaching während der ersten Jahre der geförderten Selbständigkeit, Erhalt der Ansprüche auf Sozialleistungen – wurden deutlich geschleift. Am Ende bleibt es aber bei den ursprünglich von der Kommission vorgeschlagenen 100 Millionen Euro über eine Periode von 4 Jahren. Die Große Koalition von Liberalen, Christ- und Sozialdemokraten ist so als Tiger gestartet und als Bettvorleger geendet“, so Händel
Ziel des MFI ist, leichter Mikrokredite an Erwerbslose, von sozialer Ausgrenzung Bedrohte oder andere Personen zu vergeben, die sonst keinen Zugang zu Krediten haben. Sie sollen durch Fördermittel des MFI ein Kleinunternehmen gründen oder als Einzel-Selbständige arbeiten können. Mikrokredite werden bis zu höchstens 25 000 € gewährt, der EU-Durchschnitt liegt bei 12 - 14 000 €.
„Kommission, Rat und die Mehrheit des EP behaupten, das MFI werde einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Erwerbslosigkeit in der EU leisten können. Das ist ein schlechter Witz“, so Gabi Zimmer MdEP (Koordinatorin der Linksfraktion im EP-Beschäftigungsausschuss). „25 Mio. Euro pro Jahr sind angesichts steigender Arbeitslosenzahlen in 2010 – 11 % im EU-Durchschnitt – bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Hinzu kommt: Die EU-Mitgliedstaaten können das MFI im Rahmen ihrer ‚strafenden Arbeitsmarktpolitik’ nutzen. Frei nach dem Motto von Al Capone: ‚Ich mache Ihnen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können’. Erwerbslose und Arme können gezwungen werden, einen Mikrokredit für selbständige Tätigkeit z.B. als Fensterputzer annehmen zu müssen. Wenn sie sich weigern, wird die Arbeitslosenunterstützung gekürzt oder ganz gestrichen. Das widerspricht der ‚Decent Work Agenda’ der Vereinten Nationen und der ILO, der sich die EU feierlich verschrieben hat - insbesondere dem darin enthaltenen Prinzip frei gewählter Erwerbsarbeit.“
„Das Mikrofinanzinstrument ist so im Wesentlichen ein Mittel, prekäre selbständige Beschäftigung zu fördern, dabei die Sozialkassen der Mitgliedstaaten zu entlasten und die Arbeitslosenstatistik zumindest für einige Zeit etwas zu bereinigen. Vielen von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen wird dies nicht weiter helfen. Zur Förderung der Sozialwirtschaft, wie Kommission und Rat behaupten, ist es nach Meinung von Experten und sozialen NGO´s im Wesentlichen ungeeignet. Sozialwirtschaftliche Betriebe und Projekte setzen zum größten Teil auf reguläre Beschäftigung und Qualifizierung, und nicht auf Selbständige“ so Zimmer abschließend.

Strasbourg, 11. 2. 2010

Für weitere Informationen:


Sonja Giese
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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