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17.02.2016, Thomas Händel

Lebenslänglich Freizeit dank Industrie 4.0?

Was wird aus den Menschen, wenn Automaten uns die Arbeit abnehmen? Geht die Steigerung der Produktivität einher mit Massenarbeitslosigkeit?

Massenarbeitslosigkeit durch Digitalisierung? Führt die vierte industrielle Revolution Stichwort: Industrie 4.0 möglicherweise doch nicht alleine zu der von Wirtschaftsinstituten allgemein prognostizierten Produktivitätssteigerung und einem phantastischen, nie gekannten Aufschwung? Sondern zum Verlust von der Hälfte aller Beschäftigungsverhältnisse, wie wir sie heute kennen?

Während die Unternehmen selbst noch abwarten, sind die vorgeblichen Vordenker in den Wirtschaftsinstituten bereits hoffnungsfroh gestimmt. In einer vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegten Studie mit dem Titel "AUTONOMIK Industrie 4.0" ist die Rede von einer "durchweg positiven Erwartungshaltung bezüglich der durch Industrie 4.0 zu erwartenden volks- und betriebswirtschaftlichen Effekte" sowie von "enormen Wachstumspotenzials für die deutsche Wirtschaft".

Möglicherweise kommt aber alles anders, ist ungebremster Optimismus nicht angebracht, offenbart sich in den Prognosen wieder einmal das allzu kurzfristige Denken der Wirtschaftswissenschaften? Denkt man das Szenario nicht nur zu Ende, sondern vom Ende her, sind die Aussichten ernüchternd. Die Prognosen gehen von einer Steigerung der Produktivität um bis zu 40 Prozent in den kommenden 20 Jahren aus. Deutschland hat in den vergangenen 25 Jahren seine Produktivität nicht einmal um 20 Prozent zu steigern vermocht. Es ist, mit der Erfahrung der letzten 25 Jahre, nur schwer vorstellbar, dass ohne entsprechende Gegenmaßnahmen der damit einher gehende Verlust von Arbeitsplätzen durch neu geschaffene Arbeit auch nur ansatzweise aufgefangen werden kann.

In einem Artikel der Financial Times vom 15. Februar äußern Informatik-Wissenschaftler der Rice Universität in Texas genau diese Befürchtungen. Künstliche Intelligenz und Roboter-Technik seien auf dem Vormarsch, die Regierungen hätten noch gar nicht erkannt, in welch hohem Tempo dies geschehe. Die großen IT-Konzerne investierten jährlich Milliarden in neue Technologien. Die Perfektionierung der Technik wird dazu führen, dass Maschinen jede menschliche Leistung am Arbeitsplatz übertreffen wird. "Menschliches Versagen", wie es heute nach Unglücksfällen beklagt wird, wird der fortschreitenden Technologisierung Vorschub leisten und etwa dem selbstfahrenden Auto zum Durchbruch verhelfen.

Die Wissenschaftler der Rice Universität warnen vor ungebremster Euphorie. Künstliche Intelligenz und Robotertechnik werde in allen Arbeitsfeldern Jobs kosten. Zehn Prozent aller Beschäftigten in den USA haben mit Fahrdiensten zu tun, sind Truck-, Kurier- und Taxifahrer. Braucht man in Zukunft noch Mechaniker, Monteure, IT-Techniker, wenn Maschinen im Voraus die Halbwertzeit von Verschleißteilen berechnen und diese selbst austauschen? Lebenslange Freizeit bei vollem Lohnausgleich sei ein kaum erstrebenswerter Traum: "Arbeit", sagt der der Informatik-Professor, "ist essentiell für das Wohlergehen des Menschen."

Roboter können nicht alles. In Kindergärten werden auch in Zukunft Menschen sich um die Kinder kümmern. Aber womöglich braucht man in Zukunft keine Kindergärten mehr, weil die Eltern die Betreuung übernehmen, weil sie keine Arbeit mehr haben?

Die Dinge kommen lassen, um dann von Fall zu Fall zu reagieren, das ist zu wenig. Und fahrlässig ist es, wenn Wirtschaftsinstitute, fixiert auf nie gekannten Zuwächse, eine goldene Zukunft heraufdämmern sehen. Aufgabe von Politik und Wirtschaft ist es heute, diesen Prozess offensiv zu gestalten und die Gesellschaft mit diesem Szenario zu konfrontieren: Wenn eines Tages Automaten so programmiert sind, dass sie jede Art von Arbeit übernehmen können – was wird dann aus den Menschen?

Zuviel Skeptizismus? Professor Vardi von der Amerikanischen Vereinigung für die Entwicklung der Wissenschaften meint, es sei schwierig einen Beruf zu finden, der nicht durch Robotic und Künstlicher Intelligenz gefährdet sei.