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11.04.2016, Thomas Händel

Neues aus der schönen und neuen (Arbeits)-Welt

Silicon Valley und Digitalisierung - über Image und Fakten

Seit den 1980er-Jahren hat in Amerika die Globalisierung und der technische Wandel die Wirtschaft grundlegend verändert und dabei Millionen Jobs vernichtet. Zudem hinterläßt die sog. Liberalisierung des Welthandels auch in der Heimstadt seiner Protagonisten tiefe Spuren.

Auf der anderen Seite sind viele neue Jobs entstanden.

Wie die Bilanz ausfällt, darüber konnte sich eine Delegation des Beschäftigungsausschusses des Europa-Parlaments bei verschiedenen Besuchen im Silicon Valley einen Eindruck darüber verschaffen.  Silicon Valley ist der wohl weltweit bedeutendste Standort der IT- und High-Tec Industrie. Es erstreckt sich von San Francisco südlich bis San José und umfasst etwa 7000 Firmen mit einer halben Million Beschäftigten und ist einer der Brennpunkte der Digitalisierung und ihrer Auswirkungen.

Die schöne neue Arbeitswelt hinterläßt zunächst ein eindrucksvolles Bild. Auf dem Campus von Google und Facebook fühlt man sich nach Disneyland versetzt (siehe Bild).

Der Eindruck täuscht nicht, wurde der Facebook-Campus doch von Architekten der Disney-Traumfabrik gestaltet. Freies Kantinenessen, ein hohes Niveau von Sozialleistungen, die Möglichkeit während der Arbeitszeit nicht nur jede Art von Sport zu betreiben sondern auch einen Spielsaloon zu besuchen, zeichnen ein Bild das einen unbefangenen Betrachter leicht zum Jubeln bringen könnte.

Und wenn andere wie beispielsweise Amazon in Tracy seine "associates" gleich mit einem Konto bei einer renommierten amerikanischen Geschäftsbank und großzügigem Verfügungsrahmen ausstattet, von dem andere Amerikaner nur träumen können, scheinen alle Träume über die schöne neue Arbeitswelt der Realisierung doch sehr nahe. Dass der Einstiegs-Lohn von 18.- $ bei Amazon angesichts des Niveaus der Lebenshaltungskosten (siehe auch unten) auch bei 40 Stunden pro Woche zum Leben kaum reicht, gerät da leicht aus dem Blick.

Wie die Leistungsbedingungen aber aussehen, damit halten sich die Gesprächspartner aber mehr wie bedeckt. Wenn Brenda Tierney, Head of Policy Visits bei Facebook referiert man stelle pro Woche 100 neue Beschäftigte ein, die Frage nach Entlassungen damit beantwortet, man habe keinerlei Fluktuation kann man das Glauben - oder auch nicht. Realistisch ist das für erfahrene Gewerkschafter und Personaler aber kaum.

Die Schattenseiten - so scheint es - werden in Amerika noch bei weitem weniger diskutiert, wie anders wo. Die Mitarbeiter - wohl nicht nur bei Facebook - sind ständig "am Netz". Selbstverständlich wird von ihnen eine jederzeitige Verfügbarkeit abends als auch am Wochenende erwartet. Auch nächtliche Einsätze in der Firma oder übers Wochenende gehören zu den Pflichten, berichten Beschäftigte. Grenzen der Arbeitszeit? - Fehlanzeige. Die totale Vereinnahmung führt - so Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand - auch zu einer gesellschaftlichen Isolation. Teilnehmer der EP-Delegation fühlten sich unwillkürlich an den Bestseller "The circle" von Dave Eggers (2013) erinnert, der diese Phänomene noch als Fiktion beschreibt.

 

"Die im Schatten sieht man nicht..."

In der Vergangenheit haben die Vereinigten Staaten ihre Wirtschaftsinteressen auch im eigenen Land ruppig bis brutal durchgesetzt - auch gegen die Beschäftigten. Das ändert auch der ökonomische Erfolg der Flaggschiffe nicht. Der wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen Jahre ist nicht bei den Durchschnittsverdienern angekommen. Die Löhne sind im Durchschnitt nicht gestiegen, in vielen Fällen sogar gefallen. Die Verlierer dieses Prozesses zeichnen das Straßenbild bis hinein in die Metropolen. Selbst in der Boom-Town der New Economy und der schönen neuen (digtalisierten) Arbeitswelt, in San Francisco, ist die Zahl der Obdachlosen, die tagsüber auf der Flaniermeile Marketstreet kampieren - hier residiert nicht nur Twitter - sichtbarer als in etlichen anderen Metropolen der Welt. Von den Nächten ganz zu schweigen.

Das ändert sich auch im südlich von San Francisco gelegenen Silicon Valley nicht. Im Gegenteil: Ben Field vom amerikanischen Gewerkschaftsbund AFL/CIO, zuständig für das Silicon Valley in San José, berichtet von einer Steigerung der Mietkosten in den letzten Jahren von über 50 Prozent. Die Löhne können da, auch mangels der Stärke der Gewerkschaften bei den Flaggschiffen der New Economy wie Intel, Facebook, Google und Amazon, nicht mithalten. 11 Prozent Lohnzuwachs im gleichen Zeitraum reichen da nicht aus.

31% der Menschen in San José arbeiten für weniger wie 25.000 $ pro Jahr - weniger als die durchschnittliche Miete für eine 1-Zimmer-Wohnung. Sie kostet durchschnittlich über 27.000 $ pro Jahr. Der Park von San José wird angesichts der Elendslager von Obdachlosen im Volksmund nur noch "Dschungel" genannt.

Amerikas Gesellschaft ist offenkundig überfordert mit Digitalisierung, "freiem" Welthandel und Globalisierung. Die Menschen kommen nicht mehr mit. Selbst die Mitarbeiter von "Engine advocacy" einer Lobby-Organisation, die sich um wirtschaftsfreundliche Gesetze genauso kümmert wie um die unternehmensfreundliche "Zurichtung" von Hochschulabsolventen gibt man außerhalb der offiziellen Debatte zu, eine sozialen Sicherung wie in der EU sei auch in den USA dringend nötig.

Während die Wirtschaft im Silicon Valley Wirtschaft boomt, sind die arbeitenden Menschen und ihre Familien im ständigen Existenzkampf. San José und andere Städte im Silicon Valley versuchen nun gegen zu steuern. Nach einer jahrelangen und nun erfolgreichen regionalen Kampagne der Gewerkschaften werden die Mindestlöhne auf 15 $ die Stunde erhöht - aber erst bis 2022. Auch Ben Field ist überzeugt: "Das reicht nicht aus, die rasant steigenden Lebenshaltungskosten zu decken wenn Sie nur ein paar Stunden Arbeit bekommen können". Große Unternehmen nutzen missbräuchliche Arbeitszeiten und Niedriglöhne auf Kosten ihrer Mitarbeiter. Statt Vollzeit-Arbeitsplätze zu schaffen, stellen die Unternehmen mehr Arbeiter ein - aber fast ausschließlich in Teilzeit. Teilzeitbeschäftigung in den USA biete entscheidende Vorteile bei der Vermeidung von Krankenversicherung und Pensionszusagen, so der AFL-CIO-Mann.

In den USA verdienen Teilzeitbeschäftigte in der Regel ein Drittel weniger pro Stunde als Vollzeit-Beschäftigte. Immer mehr Unternehmen nutzen die Lücke der Teilzeitarbeit. "Teilzeit-Beschäftigte schießen wie Pilze aus dem Boden", so Ben Field. Schätzungsweise 64.000 Arbeiter in San Jose arbeiten in Teilzeit oder mit variablen Stunden-Verträgen. Dies sei eine Steigerung von 33 Prozent in den letzten fünf Jahren. Durch die Erhöhung des Mindestlohns habe nun in San José dazu beigetragen, mehr als 75.000 Beschäftigten einem fairen Lohn für die Arbeit eines Tages näher zu bringen.

"Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass alle die Stunden arbeiten können, die sie brauchen, sich um sich selbst kümmern zu können und um ihre Familien", sagt Ben Field.

Die neue Kampagne der Gewerkschaften läuft unter dem Motto "THE NEXT FIGHT FOR QUALITY JOBS - OPPORTUNITY TO WORK" bereits an. Sie zielt darauf ab in der 10. größten Stadt des Landes mit einer gesetzlichen Verordnung ein Recht auf eine Mindestzahl von Arbeitsstunden durchzusetzen. "Menschen, die hart arbeiten wollen sollten nicht durch große Konzerne abgehalten werden können, zu arbeiten und angemessene Löhne zu erzielen um ihre Rechnungen zu zahlen und Essen für ihre Familien auf den Tisch zu bringen", schreibt die AFL-CIO. Leicht wird diese Auseinandersetzung nicht. Zwar hat Kalifornien nicht - wie mehr als die Hälfte der US-Staaten "Right to work"- Gesetze, die darauf zielen die gewerkschaftliche Interessenvertretung zu schwächen - mit Erfolg. Kalifornien hat eine "Right to Organise"- Gesetzgebung die die Gewerkschaften schützen soll. Die Strafen bei Verstößen der Arbeitgeber überfordern die Portokasse der Unternehmen allerdings selten.

Die Digitalisierung - in Deutschland auch unter dem besonderen Aspekt "Industrie 4.0" - hat längst begonnen. Sie wird gewaltige Folgen und Umbrüche für Wirtschaft, Arbeitsplätze und Gesellschaft zur Folge haben. Diese Entwicklungen sind aber keine Naturereignisse. Sie sind menschengemacht - und müssen gesellschaftlich gestaltet werden.

Das ist Aufgabe von Politik und Gewerkschaften - im Interesse der Menschen, nicht der maximalen Profite.