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13.12.2012, Frank Puskarev

Hintergrund: Eine Agenda für adäquate, sichere und nachhaltige Renten (?)

Debatte zur zukünftigen Ausrichtung der Politik in Sachen Altersvorsorge kommt in die heisse Phase

Die Europäische Union hat in im Bereich Renten eigentlich keine Kompetenzen. Aber die Rentenpolitik ist eng verzahnt ist mit anderen Politikfeldern: bereits 2009 hat die Kommission aus Gründen der Haushaltsanierung auf die weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters über 67 Jahre hinaus gedrängt. Das sogenannte "Weißbuch Rente" der Europäischen Kommission soll nun Politikempfehlungen an die Mitgliedsstaaten geben. Damit, tritt im Europäischen Parlament in die heiße Phase der Debatte und Abstimmungen ein.

Dieser Artikel wurde am 15. Januar aktualisiert, die Ergänzung findet sich am Ende des Artikels

Im vorliegenden Entwurf für das "Weißbuch Rente" schlägt die Kommission Vorgehensweisen und Initiativen auf nationalstaatlicher Ebene vor, welche die Renten der zukünftigen Generationen adäquat in der Höhe, sicher und nachhaltig machen sollen. Dabei stützt sich die Kommission vor allem auf die hinlänglich bekannte Fehlannahme, dass zukünftig weniger Menschen in Arbeit mehr Rentner solidarisch finanzieren müssen, weil die rückläufige Bevölkerungsentwicklung und längere durchschnittliche Lebenserwartung dies vorhersehen ließen. Dabei setzt die Kommission wie auch schon die Regierungen verschiedener Mitgliedsstaaten (MS) in der Vergangenheit, vor allem darauf,

  • das Ruhestandsalter an die gestiegene Lebenserwartung zu koppeln;
  • den Zugang zu Frühpensions- bzw. -rentensystemen und anderen frühzeitigen Ausstiegsmöglichkeiten einzuschränken;
  • die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch besseren Zugang zu lebenslangem Lernen, Anpassung der Arbeitsplätze an eine Belegschaft mit höherer Diversität, Ausbau von Beschäftigungschancen für ältere Arbeitskräfte und Unterstützung des aktiven und gesunden Alterns zu fördern;
  • das Ruhestandsalter für Frauen und Männer anzugleichen und
  • den Ausbau der Zusatz-Altersvorsorge zu fördern, um das Ruhestandseinkommen zu erhöhen.[1]

Im Anhang zum Weißbuch macht die EU-Kommission 20 Vorschläge, wie diese Ziele auf der europäischen Ebene unterstützt werden können. Dieser umfasst u. a. folgende Vorschläge:

  • Die Sozialpartner werden aufgefordert, die Arbeitsplatz- und Arbeitsmarktpraxis anzupassen, um bessere Chancen für ältere Arbeitskräfte zu schaffen. Der Europäische Sozialfonds soll genutzt werden, um älteren Arbeitskräften einen Arbeitsplatz zu bieten. Menschen in die Lage zu versetzen, länger erwerbstätig zu bleiben, ist ein wichtiger Schwerpunkt des Europäischen Jahres des aktiven Alterns und der Solidarität zwischen den Generationen 2012.
  • Die Sozialpartner sollen ermutigt werden, private Zusatz-Vorsorgesysteme zu entwickeln, und die Mitgliedstaaten, ihre steuerlichen und anderen Anreize zu optimieren, um so das Angebot derartiger Systeme auszubauen.
  • Die Richtlinie zu Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (IORP) soll überarbeitet und die Konsumentinnen und Konsumenten sollen besser informiert werden, um die Sicherheit von Zusatz-Vorsorgesystemen zu erhöhen.
  • Die Zusatz-Altersvorsorge muss mit Mobilität vereinbar gemacht werden, und zwar durch Rechtsvorschriften, die die Ruhestandsansprüche mobiler Arbeitskräfte schützen, und durch die Förderung der EU-weiten Einrichtung von Pensions- und Rentenaufzeichungsdiensten. Auf diese Weise können den Bürgerinnen und Bürgern Informationen zu ihren Ruhestandsansprüchen und Voraussagen zu ihrem Einkommen im Ruhestand geboten werden.
  • Die Mitgliedstaaten sollen ermutigt werden, eine längere Lebensarbeitszeit zu fördern, indem sie das Ruhestandsalter an die Lebenserwartung koppeln, den Zugang zum vorzeitigen Ruhestand einschränken und die Renten- bzw. Pensionsschere zwischen Frauen und Männern schließen.
  • Die Angemessenheit, langfristige Finanzierbarkeit und Sicherheit der Renten und Pensionen soll weiterhin einem Monitoring unterzogen und die Renten- und Pensionsreformen in den Mitgliedstaaten unterstützt werden.[2]

Zu diesem Anhang des Weißbuchs verfasst das Europäische Parlament (EP) eine eigene Stellungnahme, die dem Rat und der Kommission zur Kenntnis übermittelt werden und von diesen bei der Fertigstellung des Weißbuches beachtet werden müssen. Verantwortliche Ausschüsse für diese Stellungnahme sind mit geteilten Zuständigkeiten der Beschäftigungs- und Sozialausschuss (EMPL) und der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON).

Deadline für Änderungsanträge sind im Wirtschaftsausschuss der 17.12.2012 und im Beschäftigungsausschuss der 8.1.2013. Thomas Händel kann in beiden Ko- Ausschüssen Anträge stellen und ist in beiden Berichterstatter für unsere Fraktion. Die Berichtsentwürfe des EP von Thomas Mann (EPP, ECON) und Ria Oomen-Ruitjen (EPP, EMPL) sind auf den Seiten der Ausschüsse einsehbar. Die Positionpapiere der Arbeiterkammer Österreich und des DGB sind am Ende dieses Artikels nachzulesen.

Alles in allem ist das Weißbuch Renten ein Fortschritt gegenüber früheren Dokumenten. Dazu hat die Arbeiterkammer Österreich die wesentlichen Argumente zusammengefasst, Kritikpunkte aus deutscher gewerkschaftlicher Sicht werden vor allem vom DGB  formuliert.

Ria Oomen-Ruitjen hat einige sehr gute und interessante Punkte in ihrem Bericht. So stellt sie klar, dass die MS die Verpflichtung haben, Renten und Pensionen sicherzustellen, die allen Bürgern ein anständiges Einkommen oberhalb der Armutsgrenze bieten, behelfsweise auch mit Mindesteinkommens-Regelungen. Sie betont den gleichberechtigten Zugang zu Renten und legt klar den Schwerpunkt auf die 1. und 2. Säule, also gesetzliche und betriebliche Renten und Pensionen, während die 3. Säule (private Absicherung) höchstens ergänzenden Charakter haben soll. Dabei ist die erste Säule bei ihr die wichtigste, die 2. soll verpflichtend und kollektiv geregelt sein. Sie verurteilt die Kürzungen der Renten und Pensionsansprüche in den Krisenländern. Sie kritisiert den Ausbau der Teilzeitbeschäftigung als nicht hinreichende Basis für die Altersversorgung. Sie erkennt an, dass höhere Mobilität der an mit entsprechender Absicherung der Ansprüche aus der Altersversorgung einhergehen muss.

Kritisch anzumerken ist, dass sie in dem von der Kommission vorgegebenen Denken verhaftet bleibt, weil die Menschen länger leben müssten sie mehr und länger arbeiten. Dies durchzieht den ganzen Bericht und gipfelt in der Behauptung, das ja statistisch erwiesen sei, dass frühere Verrentung auch keine Arbeitsplätze für Jüngere frei mache, weil in den MS, in denen mehr Ältere arbeiten auch mehr Jüngere arbeiten würden. Dass dies u.U. mit unterschiedlichen Beschäftigungsniveaus, unterschiedlichen Politiken hinsichtlich des Arbeitsmarktes und der allgemeinen Sozialstruktur zu tun haben könnte kommt ihr offensichtlich nicht in den Sinn. Thomas Manns Bericht unterscheidet sich nur unwesentlich von Oomen-Ruitjen.

Unsere Position in den anstehenden Verhandlungen wird sein: Wir wollen die erste Säule stärken und so gestalten, dass eine Lebensstandard sichernde Rente ermöglicht wird. Das bedeutet vor allem eine stetige Anpassung an die Produktivität, eine Verbreiterung der Einnahme-Basis (in Form einer solidarischen Umlage oder steuerfinanziert). Die zweite Säule nimmt auch für uns einen zentralen Platz ein, kann aber nur eine Ergänzung der ersten Säule sein und ist als solche sicher für die ArbeitnehmerInnen auszugestalten. Die 3. Säule ist Privatsache und sollte nicht durch den Gesetzgeber gefördert werden. Die Erfahrungen zeigen, dass nur 20 Prozent der EinzahlerInnen der 3. Säule, also der privaten Vorsorge, überhaupt eine Auszahlung am Ende der Laufzeit erreichen. Andere müssen aufgrund ihrer Einkommenssituation schon vorher und meistens mit großen Kapitalverlusten kündigen oder fallen Anrechnungsmodellen (z. Bsp. Hartz IV) bei Arbeitslosigkeit zum Opfer. Oder drittens sind aufgrund der Krisen des Finanzsystems des letzten Jahrzehnts und entsprechender Vertragsgestaltung die Ansprüche aus solcher Vorsorge auf einen Bruchteil der eingezahlten Kapitalsumme zusammengeschrumpft oder ganz verloren.

In der Frage des Renteneintrittsalters und der Beitragsjahre setzen wir zunächst darauf, die Beschäftigung generell zu erhöhen (was die Beiträge zu Rentenkassen erhöht und so die Renten sichert), ältere ArbeitnehmerInnen bis zum Erreichen des gesetzlichen Rentenalters in Beschäftigung zu halten und entsprechend Arbeitsplätze so zu gestalten, dass dies insbesondere in gesundheitlich belastenden Berufen auch möglich ist. Nicht zuletzt setzen wir auf geänderte Familien- und Sozialpolitik, die es den Menschen wieder ermöglicht, sich für Kinder und Familie in gesicherten Verhältnissen zu entscheiden und so die zur Sicherung der Renten notwendige Bevölkerungsentwicklung sicherzustellen.

Zu folgenden Fragen haben wir uns noch keine abschließende Meinung gebildet und konsultieren derzeit unsere Ansprechpartner in Gewerkschaften und kritische Experten auf diesen Gebieten: 

Erstens die Frage der Subsidiarität: Mann und auch Oomen-Ruitjen legen starken Wert auf diese, Mann lehnt jede Harmonisierung auch von Regulierungen hinsichtlich Qualität und Quantität von Absicherungen ab, Oomen-Ruitjen bleibt etwas differenzierter. Unser Bedenken diesbezüglich sind zunächst: Wenn hohe Mobilität für einen nicht unerheblichen Teil der Beschäftigten zur Normalität geworden ist (3 Prozent, Tendenz stark steigend) müssen sich diese doch auf wesentliche gleiche Standards verlassen können dürfen. Bräuchte es dazu nicht auch ein gewisses Maß an Harmonisierung bzw. Mindest-Standardisierung auf europäischer Ebene? Oder legen wir den Schwerpunkt derzeit auf Verteidigung der bestehenden Systeme und schaffen möglichst keine Angriffsfläche zur Verschlechterung derselben, was aber ggf. Verbesserungen bei bestimmten anderen Systemen auch nicht gerade befördern würde?

Der zweite offene Punkt betrifft die Absicherung von Betriebsrenten und den entsprechenden Vorschlägen der Kommission im Zusammenhang von Solvency II: Wenn wir davon ausgehen, dass Betriebsrenten nicht ausreichend durch den Pensionssicherungsverein geschützt sind, mit Betriebsrentenrücklagen in großer Anzahl auch riskante Geschäfte an den Finanzmärkten getätigt werden und wir der Analyse folgen, es handele sich bei den Sicherungssystem um eine "Schönwetter-Sicherung", müssten dann zur Sicherung der erworbenen Rentenansprüche nicht wesentlich stärkere Eigenkapitalregeln geschaffen werden? Das gemeinsame Votum der deutschen Arbeitgeber und DGB-Gewerkschaften sieht das bislang nicht so.

Dritter und letzter offener Punkt besteht im Hinblick auf die Portabilität von Renten- und Pensionsansprüchen. Beide Berichterstatter bleiben dazu etwas unklar, scheinen aber eine tatsächliche Portabilität aus Wirtschaftlichkeitsgründen abzulehnen. Unser vorsichtiger erster Eindruck wäre, dass Pensionsfonds als auch Rentenkassen (1. und 2. Säule), die auf vernünftiger Basis arbeiten, eine Kapital-Portabilität verkraften können müssten, Anrechungszeiten müssten dann in Äquivalente umgerechnet werden. Arbeitnehmern ist es u.E. nicht zuzumuten, Pensionsansprüche in verschiedenen Systemen zu überblicken, überwachen und sich ihre Ansprüche selbst zusammenzurechnen. Erworbene Ansprüche müssen portierbar sein, eine europäisch organisierte Meldestelle für Rentenübersichten scheint da der eher umständlichere und bei der Vielzahl an Systemen und Modellen unpraktischere Weg zu sein.

Über den Fortgang der Debatte halten wir euch hier auf dem Laufenden.

(FP)

UPDATE: Fragen geklärt, Änderungsanträge in ECON und EMPL eingereicht

Die Einreichungsfristen für Änderungsanträge sind verstrichen und wir wären in der Zwischenzeit nicht untätig. Die drei oben aufgeführten Fragen haben wir in Zusammenarbeit mit den KollegInnen der Bundestagsfraktion DIE LINE wie folgt für uns beantwortet: 

Erstens sind wir nunmehr der festen Überzeugung, dass auch bei weitestgehender Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung der Systeme eine regulative Mindeststandardisierung nowendig ist, betrachtet man die sonst in weiten Bereichen des Wirtschaftslebens bereits bestehende harmonisierung und auch Verschränkung der Wirtschafts- und Finanzwelt in Europa. Gerade die stetig steigende Mobilität der ArbeitnehmerInnen, aber auch die in allen Ländern gleichermaßen berechtigte Forderung nach einem Schutz vor Armut im Alter begründet diese Positionierung.

Zweitens sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass Betriebsrenten- und Pensionsansprüche von Solvency II - Regelungen ausgenommen werden sollten, wenn und solange sie nicht wie Systeme der 3. Säule funktionieren und/ oder (sic!) am Kapitalmarkt agieren. Denn wenn sie dass tun, und unserer Ansicht nach betrifft das die übergroße Anzahl der Systeme der 2. Säule, sind sie im Ergebnis den selben Risiken ausgesetzt und müssen schon aus Transparenz- und Schutzgründen den selben Sicherheitsstandards unterworfen werden wie Systeme der 3. Säule.

Zur dritten offenen Frage hat sich unser erster Eindruck bestätigt, sodass wir nunmehr eine Portabilität und entsprechende Aufzeichnungsdienste auf europäischer Ebene für richtig und sinnvoll im Sinne der ArbeitnehmerInnen befinden und dies in unseren Änderungsanträgen deutlich machen.

Unsere vollständigen Änderungsanträge zu beiden Berichten stellen wir Euch am Ende zum Download bereit.

[1] Europäische Kommission 2012, Weißbuch "Eine Agenda für adäquate, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten" COM(2012) 55 final

[2] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-140_de.htm

 

Dateien zum Download: