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12.06.2013, Thomas Händel

Together we stand!

Warum Euro-Austrittsdebatten in der Sache falsch und gefährlich sind

Angesichts der nicht überwunden Krise und der verheerenden Folgen der Austeritätspolitik hat in der Linken hat eine intensive Debatte über den Euro angehoben. Euro-Exit ja oder nein - das scheint für Einige fast "religiöse" Züge anzunehmen. Während sich dabei die Analysen zu den Ursachen für die aktuelle Krise weitgehend ähneln, differieren die Schlussfolgerungen stark. Besonders die Beurteilung der ökonomischen Folgen für die Mitgliedsstaaten, deren Wirtschaft und insbesondere die Menschen bleibt in vielen Positionierungen weitgehend an der Oberfläche.

Offensichtlich ist, dass die Kluft der stark auseinander driftenden Leistungs- und Handelsbilanzen geschlossen werden muss. Dazu müßten die Löhne in Deutschland ab sofort jedes Jahr um 4,5 Prozent erhöht werden, um bis 2022 einen Ausgleich der preislichen Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Das erwartet niemand angesichts der Kampfkraft der Gewerkschaften unter Krisenbedingungen und der gesunkenen Reichweite gewerkschaftlicher Tarifpolitik. Darüber hinaus ist Lohnpolitik bei weitem nicht alleine Angelegenheit der Tarifpolitik, denn dazu gehören sowohl die Mindestlohnpolitik als auch die Steuerpolitik, will man Kaufkraft flächendeckend steigern.

Während Eurobonds oder Rettungsschirme ebenso wie eine konsequente Intervention der EZB als auch mittelfristig sinnvolle Maßnahmen debattiert werden, bleiben alternative Konzepte undiskutiert. Dazu gehört das Konzept einer Ausgleichsunion (Troost/ Paus) und erste Ansätze eines integrierten Konzepts demokratisch kontrollierter wirtschaftlicher Zukunftsentwicklung für Europa, das bestehende Elemente von Industrie- und Dienstleistungspolitik, von Struktur- und Kohäsionspolitik einschließt (Händel/ Puskarev). Der vom DGB in die Diskussion gebrachte „Marshallplan für Europa“, mit dem auch die Reichen zur Finanzierung des Schuldenabbaus und der Zukunftsinvestitionen in die Gesellschaft herangezogen würden, ist ein erstes Modell das in diese Richtung weist.

Zweifellos: ohne fundamentale Änderungen besteht die Gefahr, dass der Euro zerbricht

Manche sehen die Durchsetzungschancen eine alternativen Europapolitik insbesondere wegen fehlender Mehrheiten als unmöglich an und pladieren für einen "geregelten" Ausstieg einzelner Mitgliedsstaaten und der Schaffung eines neuen "Europäischen Währungssystems". Woher die dazu nötigen Mehrheiten kommen sollen bleibt aber meist unbeantwortet, unberücksichtigt die massiven und divergierenden Kapitalinteressen. Welche politischen und wirtschaftlichen Folgen das zeitigen würde ebenso.

Sofern ein Austritt geregelt erfolge – in Griechenlands z. B. mit einem geregeltem Schuldenschnitt von 60 Prozent und langfristig zugesicherten Finanzhilfen sowie einer Abwertung der Währung von bis zu 50 Prozent – halten einige diese für verkraftbar. Sie gehen davon aus dass sich für Griechenland damit mit eine Chance ergebe der Austeritätsfalle zu entkommen. Das verdient eine nähere Betrachtung

Mit welchen Folgen wäre zu rechnen, wenn in Folge eines Austritts massive Auf- und Abwertungen wären?

Selbst die linken Protagonisten Flassbeck und Lapavitsas rechnen bei einem Austritt Griechenlands aus dem Euro - auch in einem neuen EWS und mit Kapitalverkehrskontrollen - mit einer notwendigen Abwertung von bis zu 50 Prozent. Importe würden schlagartig doppelt so teuer werden. Das beträfe gleichermaßen Konsumgüter als auch für Infrastruktur und Produktion dringend benötigte Güter wie effizientere Maschinen und industrielle Vorprodukte, Rohstoffe und Energie. Das würde die Produktionskosten für eine ohnehin schon erheblich zurückgeworfene Volkswirtschaft deutlich erhöhen und wohl kaum zu einer besseren Wettbewerbslage führen.

Für die Menschen wäre der Preisanstieg bei unmittelbar lebenswichtigen Gütern wie Medikamenten und Nahrungsmitteln eine weitere Katastrophe. Zwar ist die Agrarwirtschaft ein bedeutender Sektor in Griechenland. Von besseren Exportbedingung für Griechenland kann aber wohl als Entwicklungsperspektive in diesem Sektor nicht gesprochen werden. Das Land mußte bereits vor der Krise Nahrungsmittel netto importieren um die Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. Nach den Jahren der Austeritätspolitik und der Deindustialisierung ist also ein Exportboom weder zu erwarten, noch würde eine Abwertung die Probleme des Landes auch nur annähernd lösen. Nur der Tourismus und ein boomender Bausektor reichen für einen zügigen Wirtschaftsaufschwung nach Abwertung wohl kaum aus.

Selbst ein angenommener Schuldenschnitt von 60 Prozent (wie in den unten zitierten Szenarien von Prognos angenommen) bringt bei einer Abwertung der neuen Währung um 50 Prozent keine wirkliche Entlastung. Der in dieser neuen Währung ausgedrückte Staatsschuldenstand würde steigen, da die Altschulden Griechenlands in Euro notiert sind. Der Effekt bliebe deshalb relativ schwach, die Auswirkungen auf die sog. Finanzmärkte wären dagegen sehr hoch. Griechenland müßte wegen des mit Sicherheit eintretenden Mißtrauens erhebliche Risikoaufschläge auf seine Staatsanleihen hinnehmen. In Summe hätte Griechenland bei Rückkehr zur Drachme 164 Milliarden Euro Wachstumsverluste bis 2020 zu verzeichnen. Klingt nicht wie eine Erfolgsmodell.

Die Folgen blieben nicht auf Griechenland beschränkt

Mit dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion wächst die Gefahr eines Dominoeffekts. Wenn die sog. Finanzmärkte sich dann spekulativ über Italien, Spanien und Portugal und Italien hermachen, könnte das auch diese Länder in den Abgrund ziehen. Selbst die Europäische Zentralbank wäre als "Lender of last resort" kaum noch in der Lage mit dem Aufkauf von Staatsanleihen und über unbegrenzte Liquiditätshilfen für Banken einen chaotischen Zerfall der Währungsunion zu Verhindern.

Dazu liefert die wohl umfassendste Untersuchung das renommierte Schweizer Prognos-Institut. Dieses Szenario würde in den 42 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt Wachstumseinbußen in Höhe von rund 17,2 Billionen Euro verursachen. Deutschland allein müsste nur bei einem Austritt Griechenlands bis 2020 etwa 73 Milliarden Euro an Verlusten verkraften. Bei dem Szenario eines Dominoeffektes, also dem folgenden Zusammenbruch und Austritt von Italien, Spanien und Portugal würde sich das auf 1707 Mrd. erhöhen.

Was würde ein Austritt aus dem Euro für die deutsche Wirtschaft bedeuten?

Mit der Wiedereinführung der D-Mark oder der Einführung einer Kernwährung der wirtschaftlich starken Kernstaaten Europas wäre eine extreme Aufwertung verbunden. Experten rechnen mit einer Aufwertung von 30 - 50 Prozent. Das würde die vom Export abhängigen Arbeitsplätze schockartig gefährden. Der Exportanteil am BIP der Bundesrepublik beträgt rund 50 Prozent. In kürzester Zeit würden exportabhängige Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, da sie zu dieser aufgewerteten Währung im Inland nicht mehr fakturieren können. Ein Einbruch der Industrieproduktion von 40 Prozent wäre zu verkraften - ca. 6 Mio Arbeitsplätze wären gefährdet.

Jeder der nun erfreut darauf setzt, dass der deutsche Exportanteil auf Dauer sowieso zurückgehen müsse, sei ein Blick nach Zypern empfohlen: das "Geschäftsmodell" eines Landes läßt sich nicht von heute auf morgen einfach austauschen - nicht in Zypern, erst recht nicht in Deutschland. Goldman Sachs berechnet die Kosten des Auseinanderbrechens der Währungsunion für die Bundesrepublik auf etwa 800 Milliarden Euro. Welche sozialen und politischen Folgen das hat läßt sich nicht einmal ungefähr abschätzen.

Die pure Rückkehr zu nationalen Währungen öffnet darüber hinaus wieder Tür und Tor für Devisenspekulationen. Gegen die Übermacht vagabundierenden Finanzkapitals - 98 Prozent der täglich (!) 4000 Mrd. gehandelten Kapitals auf den Finanzmärkten dienen nicht der realen Wirtschaft sondern purer Spekulation - haben kleine Währungen kaum eine Chance.

Auch die Annahme, der pure Austausch der Währungen in Europa würde die Probleme lösen, ist eher schlicht. Angesichts der Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Mecklenburg-Vorpommern und Bayern müsste man zu dem Ergebnis kommen, in Mecklenburg -Vorpommern die Ostmark wieder einzuführen. Der Gedanke ist ebenso absurd wie überflüssig. Auf der nationalstaatlichen Ebene verfügen wir nämlich über genau das was der europäischen (Währungs)-Ebene so stark fehlt: eine gemeinsame - demokratisch kontrollierte - Wirtschafts- Finanz- und Steuerpolitik.

Wesentlich sinnvoller wäre es, tatsächlich in einer europäischen Transferunion Krisenländer mit den benötigten finanziellen Mitteln für einen wirtschaftlichen Neustart zu versorgen - selbstverständlich demokratisch kontrolliert und konditioniert auf die Schaffung von Arbeit für die Menschen - guter Arbeit von der man eigenständig und armutsfrei leben kann. Das nutzt auch der Wirtschaft.

Und dann klappts auch mit den Nachbarn!