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10.09.2015, Thomas Händel

Illegal eingeschleust, illegal ausgebeutet

Migration und Lohndumping

Vor zwei Jahren schlug ein Bürgermeister im niedersächsischen Landkreis Vechta Alarm: Im Wald kampierte ein Dutzend Obdachloser: illegale Arbeitskräfte, von der deutschen Fleischindustrie in Osteuropa angeworben, die für einen Hungerlohn von 400 bis 700 Euro brutto im Monat Schwerstarbeit verrichteten. "Moderne" Sklavenarbeit!

In Südeuropa, auf Sizilien, das gleiche Bild: Hier kommen die Arbeitssklaven aus Afrika. Die Bauern setzen sie auf Obstplantagen ein. Zum Preis von zehn Euro am Tag. Einheimischen müssen die Bauern mindestens 60 Euro am Tag bezahlen. "Es sind arme Teufel, wir können sie nicht ertrinken lassen", sagen die Plantagenbesitzer. Und beuten sie aus.

Nach der Flucht beginnt der Fluch von Lohnwucher; nach der Vertreibung die Verdrängung auf den illegalen "Arbeitsmarkt".

Aus illegalen Einwanderern werden illegale Arbeitskräfte. Je mehr Menschen illegal ins Land kommen, umso höher wird der Lohndruck, umso schärfer entbrennt die Konkurrenz unter den Beschäftigten.

Vor zehn Jahren, kurz nachdem in der EU die Dienstleistungsrichtlinie in Kraft trat und bevor der freie Zuzug für Arbeiter aus der EU gewährt wurde, wurden in Bussen Hundertschaften von Polen und Ungarn nach Deutschland gekarrt. In Schlachthöfen, in der Bauwirtschaft, in haushaltsnahen Dienstleistungen aber auch in der Metallindustrie wurden – oftmals mit krimineller Energie an Steuern und Sozialabgaben vorbei – massenhaft Schein-Werkverträge mit Billigarbeitskräften geschlossen. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) beklagte von 2001 bis 2005 im Raum Oldenburg – dem Zentrum der deutschen Schlachterei-Wirtschaft – den Verlust von 26.000 Arbeitsplätzen. Folgen des Missbrauchs von Dienstleistungsfreiheit und Werkverträgen.

Diese Geschichte droht sich jetzt, erheblich verschärft, zu wiederholen.

Die Flüchtlinge, die heute nach Europa geschleust werden, das heißt: diejenigen die als "Illegale" ins Land kommen, haben nur die Chance auf illegale Beschäftigung. Nicht selten sind das sklavenähnliche Jobs und/oder Prostitution. Die Not und ständig drohende Abschiebung macht die Menschen gnadenlos erpressbar. Diese Erpressbarkeit nutzen Kriminelle und andere, die sich, wenn man sie fragt, keinerlei krimineller Energie bewusst sein wollen, aus. Skrupellos, schamlos, mitleidlos.

In der aktuellen Flüchtlingsdebatte kommt der Aspekt des Abdrängens in die Illegalität und die daraus resultierenden Folgen für den Arbeitsmarkt zu kurz. Schlimmer noch: die Debatte über Illegalität, die Ausbeutung Vorschub leistet, und über soziale Verdrängung, die Schwarzarbeit und Hungerlöhne zur Folge hat, wird nicht geführt.

Unter Lohndruck, Druck auf Arbeitsbedingungen und Tarifverträge und einer Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse leiden alle. Auch aus diesem Grund brauchen wir legale und sichere Wege in die Länder der Europäischen Union.

Eine Ankunft in der Legalität muss das Ziel sein. Die Unterbringung und Arbeitsaufnahme unter legalen Bedingungen schützt die Menschen, die zu uns kommen. Und sie schützt die Beschäftigten vor Lohndumping und beugt dem Verlust von Arbeitsplätzen vor.